Ärger bei Burning Man, Love in Berlin und der Fluch der Stars

#FlyRanch
#PaulOakenfold
#WhiteOceanVandalismus
#SuperstarDjs
#AndrewWeatherall

Zwei grosse Namen tauchten vor kurzem gleichzeitig in meiner Welt auf. Einst ein Team, kamen sie jetzt aus grundverschiedenen Kontexten auf mich zu und erinnerten mich an die alten Fragen von Masse und Ausverkauf – wie bewahrt man den Funken des Reinen und Ursprünglichen in einer wachsenden Kultur, ohne jemanden auszuschließen.

Burning Man (BM) schien die Lösungen dafür gefunden zu haben. Eine Kultur der radikalen Akzeptanz, der De-Kommerzialisierung, eine Kultur der Selbstverantwortung und Selbstverwirklichung, ohne Waren, ohne Geld (zu den „10 Principles“ siehe möRRR Nr. 1*).

Aber es gab Ärger im Paradies. Ärger wegen Sonderprivilegien für die Luxuscamps der Reichen und der Stars, und damit verbunden ist der Name Paul Oakenfold.

Oakenfold ist Mitinhaber eines dieser umstrittenen „Plug and Play“-Camps, White Ocean.

Laut Business Insider ** wird das von Oakenfold 2013 gegründete Musik-Camp von Timur Sardarov, dem Sohn eines russischen Öl-Milliardärs, und Oliver Ripley finanziert. In New York sollen die beiden die private Holding Company Ocean Group besitzen. White Ocean wurde am 1. September überfallen, verwüstet, Trailertüren wurden verklebt, Gegenstände entwendet, alle Elektro-Leitungen zerschnitten und Trinkwasser ausgekippt. Offiziell und in den meisten Blog-Beiträgen wird der Vorfall verurteilt, aber es gibt wohl auch viele Sympathisanten mit einem breiten „Endlich!“-Grinsen im Gesicht. *** Denn selbst wenn so ein Luxus-Camp mit seinen aufwendigen Shows, Cafeteria etc keinen Profit macht, was gegen die Regeln verstoßen würde, so schafft es doch Ungerechtigkeiten.

Ich kann mich noch erinnern, als mich 2014 ein Blogbeitrag einer BM-Helferin zu Tränen gerührt hat, der beschrieb, wie diese freiwilligen Helfer wochenlang vor dem Ereignis ungeschützt in glühender Hitze die Stadt aufbauen, um dann von Celebrities, die direkt auf den Playa-Flugplatz einfliegen und ihre fertigen Quartiere beziehen, auch noch als Lakaien angefordert werden.

Natürlich gilt auch für VIPs das erste BM-Prinzip der „Radical Inclusion“, alle sind willkommen. Wenn Paris Hilton mit ihrem Zelt und Wasservorrat auf dem Rücken ankommen würde – kein Problem. Aber wenn ihr Aufenthalt Toiletten mit Klimaanlage, Kühlschrank, Luxusunterbringung und Entourage erfordert, entspricht das noch dem Prinzip der „Radical Self Reliance“, sich nur auf sich selbst zu verlassen, um in der Wüste zu überleben?

Mir als Außenstehender fällt nur auf, dass vor ein paar Jahren noch ein Politiker abgemahnt wurde, weil er BM als pressewirksamen Fotohintergrund mißbraucht hatte, heute dagegen auf meinen News-Kanälen Fotostrecken zu sehen sind unter dem Titel: „Celebrities at BM“, genauso wie „Celebrities auf Coachella“ oder in einer Award-Show. Genau genommen könnte man die Celebrities selbst als „Ware“ betrachten, und Waren und Kommerz verstoßen gegen Prinzip Nummer 3.

Die einzige Rechtfertigung für die Duldung solcher Camps, die ich ausfindig machen konnte, ist eine Nutzen/Schaden Abwägung. Die aufwendigen Theme-Camps, die beeindruckenden Kunst-Installationen von gigantischen Ausmaßen sind nur möglich, wenn Ausnahmen gemacht werden für die Crew, damit sie so etwas bewerkstelligen kann. Dafür hat die Gemeinschaft den Nutzen, in den Genuss dieser Werke zu kommen. Kunst und nicht Musik war die treibende Kraft von BM, das ein Event der Erfahrungen ist, kein Festival. Jetzt gelten die gleichen Ausnahmen auch für die Musik-Camps: Die Gemeinschaft kommt in den Genuss von Superstar-DJs, die von den Reichen-Camps wie eben White Ocean gebracht und verwöhnt werden.

Und genau da liegt der Hund begraben.

Wer zum Teufel braucht Superstar-DJs?

Wenn etwas zu groß ist, ob Musik oder Kunst, um in der Einfachheit der Wüste zu funktionieren, dann ist es eben nicht mehr „sustainable“. Sonst wird BM noch zu Las Vegas.

Dabei hat BM seine eigenen Stars hervorgebracht.

Dazu muss man wissen: BM-Musik war Trance-Musik. Trance war das große Ding, und was in den Chillout-Zonen lief, war … Breakbeat! Also absolut verkehrte Welt, von Europa aus betrachtet. Nach und nach wurde aber der Breakbeat immer beliebter und aus dieser BM-internen Kultur – Burner-DJs, Burner-Musik – kamen Stars wie wie Adam Freeland, Freq Nasty und Bassnectar.

Jetzt hat wohl EDM Einzug gehalten.

Man möchte ein lautes „Obacht!“ rufen – nicht dass es so geht wie in Berlin, wo gegen Ende politische Parteien auf der Love-Parade mitfuhren und „Hoch auf dem Gelben Wagen“ skandierten.

Und damit sind wir wieder bei Paul Oakenfold. Er ist den Weg der Masse gegangen. In den frühen Jahren brachte er den Vibe von Madchester und Ibiza in seine Produktionen, vor allem mit seinem Partner Andrew Weatherall. Das Gütesiegel Oakenfold/Weatherall stand für unzählige legendäre Remixe, bis Oakenfold 1992 in eine andere Welt eintauchte und Dinge wie U 2 oder die Rolling Stones anfasste. Ich frage mich immer, hatten diese Menschen immer schon insgeheim einen schlechten Geschmack oder ist das ein bewusster Schritt zum kleinsten gemeinsamen Nenner? Als die Chemical Brothers 1999 ihren Hit zum Phänomen, „Hey boy, hey girl, Superstar Djs, here we go!“ herausbrachten, war Paul Oakenfold zum zweiten Mal in Reihe vom DJ-Magazine zum „No. One DJ in the World“ gewählt worden. Er spielte Trance. Im White Ocean Line-Up konnte ich ihn nicht finden; ich kenne nur die Namen Seaman, Behrouz und … Britta Arnold! Ja, genau, Kater Blau. Auf sechs Soundcamps hat sie gespielt, ein Kater-Camp war (noch ?) nicht dabei.

Der Name Andrew Weatherall sprang mir von einem Stromkasten in Kreuzberg aus ins Gesicht.

„A Love from Outer Space“ versprach das Plakat: ein fünf-Stunden-Set mit seinem derzeitigen Collaborateur Sean Johnston in der ELSE. Das Projekt will eine „Oase der Langsamkeit in einer Welt der zunehmenden Geschwindigkeit“ sein, kein Track soll 122 bpm überschreiten. Das erinnert ausgerechnet an Paul Oakenfold, der 1990, zu Zeiten von zunehmender Techno-Geschwindigkeit das „Movement 98“ gründete, die 98 bpm sollten die Obergrenze sein. Aber es war Weatherall, der die Fackel des Wahren und Gerechten weitertrug, Musik, die den Spirit bewahrte: zuerst mit den Sabres of Paradise, dann mit den Two Lone Swordsmen. Zu der Zeit erlebte ich ihn einmal auf einem Riesen-Rave in Oakland, wo er ein Set fast ohne Beats spielte. Genial. Die „Love f.O.S.“ bestand aus wunderschönen Songs „In the Key of E“, für zehn Euro und draußen, zwei Tage vor dem Vorfall mit dem White Ocean Camp auf der Playa. Auf BM war er also wohl nicht.

Welchen Weg werden die BM-Organisatoren wählen? Diese Frage ist umso wichtiger und weitreichendender gerade deshalb, weil das einwöchige soziale Experiment des Wüsten-Events auf ein dauerhaftes, ganzjähriges Lebensmodell ausgeweitet wird. Im Juni kaufte das Burning Man Project ein riesiges Stück Land in Nevada, die Fly Ranch.

Die Fragen überschlagen sich, viele Burners sind misstrauisch. Wer darf dort wohnen? Wo kommt das Geld her? Die 6.5 Millionen Dollar Kaufpreis sind reine Spendengelder, von Burnern, denen die BM-Erfahrung so wertvoll ist, dass sie der Gemeinschaft etwas zurückgeben wollen, ohne etwas dafür zu verlangen, ohne Einfluss nehmen zu wollen, ganz im Geist von „Gifting“ (Prinzip Nummer 2). Und das BM-Project ist ein Non-Profit Unternehmen.

Soviel ist klar, alles andere ist ein Prozess der Zusammenarbeit mit allen, die mitmachen wollen, sagen die Organisatoren. Das Gelände ist noch nicht zugänglich, die Planungsphase hat erst begonnen.

Ein soziales Experiment, das von einer anarchischen Performance im Jahr 1986 mit zwölf Teilnehmern zu einer Wüstenstadt mit 70.000 Bewohnern, die für eine Woche im Jahr auf- und dann wieder abgebaut wird, angewachsen ist, ohne traditionelle Führungsstrukturen, eine Anarchie nach Regeln, die zu einer weltweiten Bewegung geworden ist, das ist ein Modell für ein mögliches Neues Miteinander auf unserem Planeten. Die Masse hat es gemeistert. Wird es auch den Fluch der Stars bannen?

Das letzte Wort soll ein echter Burner haben.

Derrick Boyd alias Tone of Arc, selbst ein Star, ist auch dieses Jahr wieder auf der Playa aufgetreten und – hat in seinem Zelt mit einem defekten Reißverschluss geschlafen. Hier ist ein Ausschnitt aus seinem Tagebuch:

The dj culture is a bit weird as a few BIG djs carry a sense of entitlement without working. Thinking bringing people and music to your camp is enough. The egos are hard to avoid. We created them by sucking their dicks so think about how much attention you give your favorite dj. How are they taking your praise? To head or heart? As for big dance floor footage in the burn was not what I was going for. You’ve seen all that.

I notice much more sceny vibes out there these days compared to 2005, my first year. The hippie vibe seems to be less a factor as the EU super model and dj following is growing and neon lights over run the playa at night, Your land marks are all but lost in the overwhelming light shows on bikes and cars. We have several camps to thank for that but believe me I embrace it all. As if I don’t like dancing with beautiful, intelligent, worldly educated and multilingual women and men everywhere around me covered in lasers. Lol.

Text: Monika Dietl
Foto: Warren Simmens


Zu den Artikeln:

* http://moerrr.de/wp-content/uploads/2015/12/moeRRR_2_von-Playa-zu-Pampa.pdf

** http://www.businessinsider.de/burning-man-camp-vandalized-2016-9?r=US&IR=T

*** http://journal.burningman.org/2016/09/opinion/serious-stuff/what-happened-to-white-ocean-and-why-every-prankster-should-condemn-it/

(bitte herunterscrollen zum Kommentar von „Toasty“)

http://burningman.org/event/camps/turnkey-camping