+++Musik und Energieverbrauch? Feiern und Nachhaltigkeit? Dafür gibt es die ‚Green Music Initiative’+++GMI ist aber nur ein Teil des unabhängigen Think-Do-Tanks www.thema1.de, der Modelle für den Übergang in eine CO2-freie Gesellschaft erarbeitet. Mitgründer von Thema 1 und GMI ist Jacob Bilabel. Peter C. Krell hat ihn für die möRRR zum Interview getroffen+++
PK: Wie würdest Du Nachhaltigkeit im Kontext Eurer Firma beschreiben.
JB: Für mich ist der Begriff Nachhaltigkeit eigentlich ein falscher. Weil das ist nicht, was uns interessiert. Uns interessiert Zukunftsfähigkeit. Nachhaltig beschreibt, wenn du aus einem Wald Bäume abschlägst und du genauso viele abschlägst, wie gerade nachwachsen. Wir glauben aber, dass es eher auch darum geht, zukunftsfähig zu sein, also eine Welt zu bauen, in der wir leben wollen und nicht eine alte Welt, die nicht mehr funktioniert möglichst lang zu erhalten. Oft ist der Begriff der Nachhaltigkeit nur damit verbunden, weniger vom Schlechten zu machen und noch nicht das Richtige. Uns interessiert das Andere, die Alternative, der wirkliche Innovationssprung.
PK: Wie definierst Du Innovation?
JB: Es gilt, wenn es um Innovationen geht, drei Säulen zu beachten: diese drei Säulen sind die der Ökologie, die der Ökonomie und die des Sozialen und diese gilt es zusammen zu denken und wenn uns das nicht gelingt, dann wird alles, was wir machen, immer nur eine Kommunikationsmaßnahme sein. Also wir müssen Innovationen entwickeln, die ökonomisch funktionieren und ökologisch und sozial – und eben nicht nur Kommunikationsmaßnahmen, wo man sich hier und da einen kleinen grünen Anstrich gibt.
PK: Wann werden solche Innovationen greifen, über welche Zeiträume reden wir da? Wann werden die Maßnahmen wirklich zur DNA der Firma gehören?
JB: Ja zunächst einmal gibt es diesen theoretischen Ansatz, diesen schönen Begriff Change zu beschreiben. Alle wollen Change, aber keiner will sich wirklich verwandeln. Change ist ein Buzzword geworden. Es gibt zwei Blicke darauf: zum einen gibt es Transformationen „by disaster“, also stark wirkende Ereignisse, die uns als Gesellschaft zwingen, Dinge anders zu tun wie z.B. Fukushima als bestes Beispiel und es gibt Transformation „by design“, wo man gemeinsam als Gesellschaft eine Vision entwickelt, wie man in Zukunft leben will und eben vielleicht Städte baut, die für Fahrradfahrer gebaut sind. Der transformatorische Schritt entsteht aber erst dann, wenn wir nicht sagen, wir wollen die Autos raus haben, sondern, wenn wir bewusst erkennen, wie viel besser für uns als Menschen eine für Radfahrer konzipierte Stadt ist.
Genau das ist der Schritt, den wir machen müssen, wir müssen weg von der Effizienz, die versucht, am bestehenden System festzuhalten und ihm soviel wie möglich abzugewinnen, ohne wirklich den erforderlichen Sprung zur Innovation zu machen. Stattdessen müssen wir in ein System der Suffizienz übergehen, wo wir erkennen, was wir wirklich brauchen und wo wir die Sachen, die wir nicht brauchen, nicht mehr machen und dann vielleicht erkennen, dass wir mit viel weniger viel glücklicher sein können. Und das ist der Schritt von der Effizienz zur Suffizienz. Diesen großen Wandel werden wir nur gemeinsam gestalten können. Dieser große Wandel braucht als Allererstes soziale Innovationen. Technische Innovationen haben wir. Wir wissen, wie wir die Dinge tun sollten. Wir wissen, was wir nicht mehr tun sollten, wir wissen, wie wir was statt dessen tun sollten. Wir haben aber noch keine mentale Infrastruktur dafür entwickelt, wie das eigentlich in Zukunft anders sein könnte. Und gerade Themen wie Urban Gardening und die ganze Food Bewegung, das sind soziale Innovationen, wo wir beginnen, uns mit Alternativen des Handelns, des Zusammenlebens und des Konsums zu beschäftigen, mit Alternativen des gemeinsamen Entwickelns von beispielsweise zirkulären Wirtschaftssystemen auseinanderzusetzen und zu experimentieren. Und von diesen kleinen Brandherden entwickelt sich dann wirklich eine gesellschaftliche Bewegung. Das heisst, diese sozialen Innovationen versuchen wir mit Thema 1 mit allem, was wir tun zu fördern und versuchen, Räume dafür zu schaffen, an ganz ganz vielen Orten in ganz Europa, wo zur Zeit experimentiert wird und das brauchen wir. Wir brauchen für den Wandel diese Orte und wir brauchen diese Orte für soziale Innovationen.
PK: Ein Teil von Thema 1 ist ja auch die Green Music Initiative …
JB: Die Green Music Initiative ist ein Think Tank für die Musik- und Entertainment -Branche, der den Wandel zu einem nachhaltigen Geschäftsmodel beschleunigt. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell sowohl aus ökologischer als auch ökonomischer Sicht. Die Green Music Initiative ist aktiv in 27 verschiedenen europäischen Ländern und arbeitet zusammen mit Festivals, mit Clubs, mit Künstlern, mit Managern, mit Verlagen und Plattenfirmen, mit dem ganzen Sektor.
PK: Wie sieht Euer Engagement im Zusammenhang mit Festivals aus, die ja vielleicht auch besondere Räume für soziale Innovationen sind?
JB: Ein Festival ist eine temporäre Urbanität unter Druckbedingungen. Da werden für drei Tage auf der grünen Wiese Gemeinschaften aufgebaut von 30-120 K Menschen, die fern ab von jeder Infrastruktur gemeinsam etwas erleben wollen. Damit kommen natürlich gewisse Herausforderungen: Energieversorgung, Wasser, Müll, Infrastruktur für Mobilität … und genau das sind unsere Ansatzpunkte. Wir helfen, diese Fragen zu beantworten. Wie kann zum Beispiel eine nachhaltige zukunftsfähige, die Umwelt schonende Mobilität für 60K Leute sicher gestellt werden. Wie kann Wasser so zur Verfügung gestellt werden, dass es funktioniert, wie können Sanitäranlagen funktionieren, wenn Du nicht nur Dixie Klos haben, sondern auch Kompost Toiletten ausprobieren willst. Und all diese Teile machen das Gesamtangebot aus, das wir für Festivals haben. Und gleichzeitig suchen wir kontinuierlich nach der besten Alternative.
PK: Wie sah Euer Engagement jetzt konkret gefragt beim Melt Festival aus? Gab´s da schon Kompost Toiletten? Ich stelle mir das nicht so einfach vor, so etwas in der Größenordnung, die Du beschrieben hast, zu realisieren.
JB: Ne, auf dem Melt Festival gibt es die Kompost Toiletten noch nicht. Die Kompost Toiletten sind natürlich nicht so einfach wie so ein Chemie Dixie. Das Festival in Glastonbury hatte dieses Jahr 600 Kompost Toiletten. Das Boom Festival in Portugal hat nur Kompost Toiletten. Da kommen 25 K Menschen hin. Ich weiss, dass das eine technische Innovation ist, die jetzt langsam kommt.
Das Melt Festival hat eine Solaranlage auf dem Dach, die technisch doppelt so viel Strom produziert, als das Festival eigentlich braucht und könnte somit Strom wieder ins Netz einspeisen, aber es gibt noch keine wirklich funktionierenden Speichersysteme, die es dem Melt erlauben, das ganze Festival mit Batteriestrom zu versorgen. Aber der erste Schritt ist getan: vor Ort wird Energie erzeugt.
PK: Sehr gut. Und ein Festival wie das Melt hat natürlich viele Dimensionen. Wie geht Ihr mit der Müllproblematik da um?
JB: Abfall ist ein brenzliges Thema. Ich weiss nicht, ob wir darüber sprechen sollten, denn, wenn Du drei Tage etwas erleben willst, dann ist das letzte, was du haben willst, jemand, der rumgeht mit erhobenem Zeigefinder und sagt so mein lieber, jetzt bitte hier Müll sammeln und lass doch mal da irgendwie das wegschmeißen. Wir kommunizieren also streng genommen mit Menschen, die dafür zahlen, dass sie mal anders sein dürfen. Und das ist Teil der Erfahrung, auf einem Festival zu sein. Denn man geht da nicht hin, um man selbst zu bleiben, sondern Du gehst auf ein Festival, um drei Tage Erfahrungen zu machen und nicht alltägliche Dinge zu erleben. Und da muss man schlaue Wege finden. Wir haben zum Beispiel Experimente gemacht mit Müllpfand, wo du am Anfang einen Müllsack für beispielsweise 10 € kaufst und am Ende dann das Geld wieder bekommst, wenn du deinen vollen Müllsack wieder abgibst.
Wenn du aber nach dem Festival aufwachst und dich dann völlig verkatert fragst, okay, soll ich jetzt noch mal Müll sammeln oder lasse ich die 10 € 10 € sein. Das hat uns gezeigt, das mit dem Müllpfand funktioniert also so mittelgut. Was auch nicht gut funktioniert hat, ist die Aufklärung. Wir haben große Schilder gemacht, in denen wir aufklären, warum das gefährlich ist mit dem Müll und warum Mülltrennung wichtig ist. Und dann haben wir einen A/B Test gemacht, mit Mülltonnen, über denen ein Smiley drüber war und welchen ohne. Und bei den mit dem Smiley war am Ende natürlich mehr Müll drin. Es geht also nicht um Verurteilungen von Menschen, die Spass haben wollen, sondern eher darum kreativ nach Lösungen zu suchen, die funktionieren, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Und das ist die Grundannahme all unserer Projekte. Wir wollen Teil der Lösung sein und nicht Teil des Problems.
PK: Und die ganzen Raucher?
JB: Zigaretten sind der blanke Horror. Der Filter verrottet in einem Zeitraum von 20 Jahren, glaube ich. Das ist natürlich ein Riesenproblem.
PK: Das heisst, da ist eigentlich jeder selbst gefragt, auch ein bisschen selbst dazu beizutragen, dass sich was zum positiven hin ändert. Vor allem, wenn viele Festivalbesucher ihren Besuch beim Festival als Freiheitserfahrung und Bewusstseinserweiterung erleben …
JB: Total. Es gibt Interessante Umfragen, warum Menschen überhaupt aufs Festival gehen. Auf Platz eins ist nicht die Musik. Die Musik läuft im Hintergrund. Sondern sie gehen da hin, um neue Menschen kennen zu lernen, um neue Erfahrungen zu machen, Neues auszuprobieren. Und das ist natürlich ein sehr sehr spannender Zustand, denn wo in der Gesellschaft zahlen Menschen dafür, sich zu transformieren? Wo in unserer Gesellschaft sind Menschen dazu bereit, sich in etwas ganz neues hineinzubegeben, was im wesentlichem dem widerspricht, wie sie den Rest des Jahres über leben. Und genau diese Stimmung nutzen wir, um genau die Themen anzusprechen, die uns wichtig sind, die dann ein stückweit mit nach Hause genommen werden und wenn man beispielsweise einmal erfahren hat, wie toll ein veganes Gericht schmeckt, dann ist das ein Gefühl, das man auch ohne Belehrung für sich mitnimmt. Das ist Suffizienz. Das ist das Erlebnis einer besseren Alternative ohne davor einen Schuldkomplex aufzubauen.
PK: Wie sieht es mit gemeinsamen Grillplätzen aus?
JB: Das klingt wie eine gute Idee. Wird aber nicht funktionieren, da Teil der Festivalerfahrung ist, dass du mit deiner normadischen Horde erstmal deine eigene Minicommunity baust. Du willst an deinem eigenen Grillplatz sein und nicht an einem großen zusammen mit Fremden. D.h. der Effizienzgedanke eines größeren Grills funktioniert hier erstmal eher nicht.
PK: Was könnte man denn tun, um das Thema Nachhaltigkeit im Alltag außerhalb des Festivals stärker im Bewusstsein der Menschen zu verankern?
JB: Clubs sind kontinuierlicher als Festivals. Da haben wir andere Möglichkeiten als beim Festival. Beim Club sind die größten Stromfresser die Kühlschränke. Durch mit neuer Energie effizient gebaute Kühlsysteme lassen sich im Club bis zu 20% Strom einsparen.
PK: Vielen Dank für dieses Gespräch.
(siehe Printausgabe S. 64)